Eine Komödie in 33 Gesängen
Besetzung variabel
Es ist die pulsierende Sprache, die Gegenwärtigkeit, eine Gleichzeitigkeit der Ereignisse erzeugt: Vor dem Auge der Leser:in, der Zuschauer:innen schlitzt ein Eisberg das größte Passagierschiff der Welt auf, Wasser schießt in die Schotten, während oben noch musiziert wird, sinkt das Schiff bereits, mehr als 1600 Menschen werden sterben: »Nur ganz unten, wo man, wie immer, zuerst kapiert, werden Bündel, Babies, weinrote Inletts hastig zusammengerafft.« 1980 inszenierte George Tabori die Uraufführung von Hans Magnus Enzensbergers Versepos aus 33 Gesängen über die Schiffskatastrophe am 15. April 1912 (ironisch als Komödie tituliert), die noch immer fasziniert, weil bis heute gilt: »daß die Erste Klasse zuerst drankommt, / daß es nie genug Milch und nie genug Schuhe / und nie genug Rettungsboote für alle gibt.«
Das gigantomanische Schiff, eine Metapher für den Fortschrittsglauben, hat einen Riss: Wie die Gesellschaft selbst, die das erzählende Ich beschreibt und gleichzeitig die Enttäuschung über das Scheitern der 68er-Bewegung einfließen lässt: in Kuba sieht es einen Ort der Hoffnung und denkt das Scheitern dieser Utopie bereits mit. Es ist Hans Magnus Enzensbergers poetische Sprache, die faszinierende Collage der vielstimmigen Gesänge, die unterschiedliche Zeiten, Perspektiven, Erzähltemperaturen aufeinanderschichtet, die Schönheit im Detail, die mitreißt. Die Katastrophe, geschehen im Jahre 1912, wird dokumentiert und bezweifelt, halluziniert und untersucht – mit allen Einzelheiten, mit der Mannschaft und den Passagier:innen, den Toten und den Überlebenden, der gesellschaftlichen Hierarchie des Schiffs, seiner Architektur, seinen Salongemälden, dem First-Class-Diner, den Drahtnachrichten, Zeitangaben, Temperaturen und Geräuschen.
Die anhaltenden Erfahrungen mit Katastrophen- und Untergangsszenarien, nicht zuletzt die Konfrontation mit dem menschengemachten Klimawandel, machen Enzensbergers literarisch mitreißendes Stück zu einem bis heute gültigen, relevanten Text.