In Ringsgwandls Lied Professor heißt es: »Was glaubst du, Experte, / was du überhaupt verstehst, / es kräht kein krankes Huhn nach dir, / wenn es Nacht wird und du gehst.« Im selben Stück kriegen der titelgebende Professor, der Direktor und der Minister mit emphatischer Wucht eins auf den Deckel.
Seine Botschaft: Erhebe dich nicht über andere. Nichts auf der Welt rechtfertigt Hybris. Memento mori, »denn wenn du gehst, kommt der Nächste dran, / es gibt keinen, dem du fehlst.« Die Verachtung für profilierungstrunkene Gestalten ist tief verankert in diesem Mann. Auch das damit einhergehende Laster der Kriecherei ist ihm ein Graus. »Ich habe Respekt vor Leuten«, sagt Ringsgwandl, »die sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben, die mit Hingabe und Können ihr Zeug machen (...). Wenn das jemand auch noch schafft, ohne andere dabei fertigzumachen, ist es natürlich noch größer (...). Für mich ist jeder Handwerker interessanter als die Mischpoke von Halb- und Drittelberühmten, die sich auf diversen Empfängen rumdrückt.«
Dabei war die Welt der Empfänge und der gehobenen Klasse lange Zeit ein unbekanntes Gelände im Leben des Georg Ringsgwandl. Der schlaksige Bub macht stattdessen früh Bekanntschaft mit der Räudigkeit des Daseins. Vom kriegsversehrten Vater wird er verdroschen, die Burschen in der Nachbarschaft sind nicht weniger roh, das Gesetz des Stärkeren wird im Glasscherbenviertel von Bad Reichenhall nicht anders ausgelegt als in der Bronx, die Idylle des oberbayrischen Gebirgspanoramas ist da nur Fassade, wie in den Heimatfilmen zu jener Zeit. Mit 18 muss Georg wegen einer Lungen-Tbc fast ein Jahr im Sanatorium verbringen. Dort, wo der Tod ein- und ausgeht, erlernt er das Abc des Lebens, außerdem bringt er sich das Gitarrespielen bei. Vielleicht hört er da auch zum ersten Mal Bob Dylan, wie der singt: »You better start swimmin’ or you’ll sink like a stone.« Jedenfalls lernt Georg – elementar für jeden Künstler –, Einsamkeit auszuhalten, und er lernt – unabdingbar für jeden eigenständigen Kopf –, sich des Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Eine so geartete Anfangsbiografie hätte durchaus das Zeug gehabt, einen glänzenden Säufer aus ihm zu machen, einen windigen Croupier in der örtlichen Spielbank oder einen gerissenen Futtermaishändler, der den Bauern den letzten Schrott aufschwatzt. Ringsgwandl aber lässt Bad Reichenhall hinter sich und studiert Medizin, eine Berufswahl, für die ihn der Vater des Größenwahns zeiht. Nichtsdestotrotz bleiben der Glanz, die Windigkeit und das Gerissene an ihm haften, er selbst bleibt sein Leben lang ein Bahndammgewächs, eine Pflanze, die sich nicht eindeutig kategorisieren lässt.
An der Härte im Kleinhäusler-Kosmos seiner Kindheit sind viele gescheitert. »Aber«, sagt Ringsgwandl, »alles noch besser als diese verpisste Wärme, die man sich heute vorgaukelt.« Nach der Sanatoriumszeit hat er für Autoritäten nur noch ein müdes Lächeln übrig, lähmende Ehrfurcht vor einschüchternden Instanzen gehört der Vergangenheit an. Er weiß, dass er dem Tod knapp entkommen ist, nachträglich wird er sagen, dass er mit dem Aufenthalt sein Joch-Soll absolviert habe. Von nun an wird er als gehorsamer Bürger untauglich sein.
Als junger Mann und Familienvater trägt er tagsüber einen Arztkittel, abends wirft er sich in schrille Klamotten und performt in Jango-Edwards-Manier rotzfrech und vogelwild vor ein paar Zuschauern. Seine Show ist eigentümlich, kommt aber gut an. Eine Tingelei über die Dörfer beginnt. Was er da auf die Bühne bringt und wie er es darbietet, hat es in dieser Mischung noch nicht gegeben. Zwar singt er in Mundart, aber er fühlt sich keiner bayrischen Liedermachertradition verpflichtet. Man schaut auch keinem galanten Singer-Songwriter bei der Arbeit zu. Der Zuschauer staunt über eine Kreuzung aus Funkbrother, Rock ’n’ Roller und Folk Musician. Ein Solitär, der kantig über die Bühne pirscht und jedem einen saublöden Spruch einschenkt, der ihm dumm oder anbiedernd dazwischenfunkt. Da kam es schon mal vor, dass ihm das Publikum eine Maß voll Bratensoße über den Kopf gekippt hat, bevor es geschlossen den Saal verließ.
Nach der ersten Platte („Das Letzte“) weitet sich der Auftrittsradius, die Hallen werden größer, die Bühnen prominenter, etliche Fernsehauftritte schließen sich an, er lernt alle Autobahnausfahrten zwischen Flensburg/Harrislee und Dingolfing-Ost kennen. Und mit den Orten auch die Menschen. In seinen Texten geht er dabei immer vom Einzelnen und vom Selbsterlebten aus. Auch wenn er manchmal gnadenlos zuspitzt und die Alltäglichkeit bisweilen ins verzerrt Fantastische treibt, der Kern seines Interesses gilt der menschlichen Kreatur. Auf der Bühne geißelt er nicht nur die Spießer und Garten-Nazis, sondern er entlarvt auch die Richtigmacher und Universitätslöffel, die mit ihrer Vernunft alles rechtfertigen und jedes noch so schmutzige Geschäft durch die angebliche Aussicht auf ein humanes Ziel wohlfeil begründen.
»Das Bewusstsein ist zwar von vornherein schon ein gesellschaftliches Produkt und bleibt es, solange überhaupt Menschen existieren«, sagt Karl Marx, aber jeder, würde Georg entgegnen, habe dennoch das Potenzial, um sich nicht vollends von der um sich greifenden Verblödung einseifen zu lassen.
Dass aus ihm ein Oberarzt, ein vielfach ausgezeichneter Musiker und ein anerkannter Autor geworden ist, ist einerseits verblüffend, andererseits völlig wurscht, Hauptsache, der Laden scheppert. Ideologische Vereinnahmung lehnt er ab. Schimpft man in seiner Gegenwart über Banker, erzählt er von einem anständigen Sparkassendirektor. Wettert jemand gegen die hirnvernagelte CSU, versetzt er, dass er schwarze Politiker kenne, die wesentlich sozialer drauf seien als die Roten und Grünen im selbigen Landstrich. Setzt es böse Spitzen gegen die Linken, verweist er auf den demokratisch geprägten Sozialismus der Arbeiterwohlfahrt, für die er sich engagiert.
Man sagt, das Bahndammgewächs sei unverwüstlich. Herbizide perlen an ihm ab. Zierpflanzenverkäufer versuchen vergeblich, es zu kultivieren. Irgendwann aber springt das Gewächs auf einen vorbeikommenden Güterzug auf und ruft: »Please don’t tell what train I’m on / So they won’t know what route I’m going«, just so, wie es im alten Folksong von Elizabeth Cotten heißt. Eine Veränderung ohne Getöse.
Die musikalische Adelung kam 1993 mit Staffabruck; der Titel des Albums ist der bayrische Name für den Bad Reichenhaller Ortsteil Staufenbrücke, wo er aufgewachsen ist. Zu dieser Zeit hatte Georg knapp vor einem Burnout gestanden, seine Oberarztstelle aufgegeben, um sich rein der Musik widmen zu können. Dieses Album mit seinen elf Songs schien jedenfalls wie eine kathartische Besinnung. Man hört einen Mann, der von der Mitte seines Lebens aus zurückschaut. Er spielt unplugged, ohne Band, singt ungerührt von Vergänglichkeit und Schmerz, von Zärtlichkeit und Glück. Die Melodien drängen nicht in den Vordergrund, jeder Ton stellt sich in den Dienst der Elegie. Da fallen einem Wyssozki ein, De André, Cash, Dylan sowieso.
Jeder Künstler fragt sich irgendwann einmal, was bleibt, wenn er geht. Staffabruck, kann man sagen, wird bleiben.
Heute hat Georg Ringsgwandl den flippigen Fummel, die Schweißerbrille und die Müllsäcke gegen ein seriöses Bühnenoutfit getauscht, die Rampensau ist dezenter geworden, Applaus fühlt sich nach wie vor gut an, ordentliche Gartenarbeit verschafft aber auch eine gewisse Befriedigung.
Der Frieden mit dem Vater, der als Traumatisierter nicht aus seiner Haut hat können, ist längst geschlossen, Georgs Lebensprinzipien sind jedoch unverändert geblieben. Obschon sein Alter jetzt das nächste Dezennium anläuft – oft genug ist er, wie er singt, jünger innen drin. Es kann also gar keinen Zweifel geben, dass uns dieser Freigeist noch viele Jahre überraschen wird. Schließlich endet „Professor“ mit diesen Zeilen: »Der Indianer weiß, es gibt nie mehr Liebe, nie / mehr Liebe, als man gibt. / Wenn du das studierst, wenn du das kapierst, / und das in der Seele weißt, / passiert es nicht, dass du dir für Geld und / Ruhm oder Macht den Arsch aufreißt.«
Erstveröffentlichung: Der Freitag Nr. 46/2018