In unserer Lesereihe ZUHÖREN präsentieren wir fortlaufend eine Autor:in, die für uns aus einem ihrer Stücke lesen. In der aktuellen Folge liest unser Neuzugang im Theater Verlag,
Sam Max, aus
PIDOR und der Wolf. Die musikalische Begleitung stammt von Avery Leigh Draut. Das Stück ist frei zur Uraufführung.
Worum geht es In dem Stück? Sam Max aktiviert unsere kindliche Erinnerung an Sergej Prokofjews
Peter und der Wolf und erfindet das musikalische Märchen neu. Die Geschichte vom Jungen, der furchtlos und klug den bedrohlichen Wolf besiegt, hat sich von Russland aus weltweit ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben.
»Und wenn Peter den Wolf nicht gefangen hätte, wie es wohl ausgegangen wäre?«, fragt der Großvater in Prokofjews Märchen. Als Motto schlägt Sam Max diese Frage vor, hätte sein Stück
PIDOR und der Wolf eines. »Pidor« ist ein russisches Schimpfwort für homosexuelle Menschen, es verbindet Sam Max‘ verschneite Märchenlandschaft mit Tschetschenien, das 2017 durch die regierungsamtliche Gefangennahme und Folter homosexueller Männer in die Schlagzeilen geriet.
Diesen thematisch konkreten, politisch zugespitzten Erzählraum betritt Peter – der erwachsene Mann, neben einer Marionette seiner selbst sowie seinem Sohn, im Alter von acht und 16 Jahren. Peters Frau sieht ihren Mann verschwinden, bleibt mit ihrer Sehnsucht und Lust, mit dem Kind im verfallenden Haus zurück.
Peter zögert, doch die Stadt zieht ihn magnetisch an. Ein Mann erwartet ihn, doch das Sexdate erweist sich als Falle: Dieser Wolf spürt mit perfidem Geschick Homosexuelle auf und liefert sie aus. Peter, der bei Tagesanbruch, zum Geburtstag seines Sohns, zurück sein wollte, findet sich im Gefängnis wieder. In der Finsternis der Sammelzelle begegnet er seiner Jugendliebe Ilya, der ihm als Kind wie ein Glaskörper, ein Gewächshaus anmutete. In seiner Liebe und Eigenheit bleibt Peter, wie als Kind, wie sein Sohn, wie seine Frau, zart und verletzlich. Diese Schönheit beschreibt Sam Max in einer Sprache eindrücklicher Bilder, lässt sie zerschellen an der Gefahr, am Wunsch zu den Starken zu gehören und am Verrat an sich und seiner Liebe. In hierarchischen Ordnungen greift ein Mechanismus von Angst vor Ablehnung und Unterdrückung, verhärtet Gefühle und unterwirft das Kindliche dem Pragmatismus, der Vernunft und Moral. Zum 16. Geburtstag des Sohns, an der Schwelle zum Erwachsenenleben, führt das Finale furios alle Figuren in einer Bar zusammen.
Sam Max schreibt nicht nur Texte, sondern entwirft auch Bühnenräume und Dinge, macht Musik – das ist in
PIDOR und der Wolf spürbar. Das zeitgenössische Musikmärchen verbindet Figuren mit Instrumenten und verwebt Musik mit Handlung.
Der Suhrkamp Theater Verlag vertritt
PIDOR und der Wolf, sowie sein Stück
Zaun (Originaltitel »Coop«, eingeladen zum Stückemarkt 2020/2021) in der deutschen Übersetzung von Robin Detje.