Eine Entdeckung zu Thomas Braschs 80. Geburtstag: Alles Glück der Welt

18.02.2025
Beitrag zu Eine Entdeckung zu Thomas Braschs 80. Geburtstag: <em>Alles Glück der Welt</em>

Berlin liegt jetzt am Meer

Von Nina Peters

Wie aus einer Zeitkapsel – Thomas Braschs Geschenk an sich selbst zum 80. Geburtstag:
In der Deutschen Kinemathek, im Bundesarchiv und im Thomas-Brasch-Archiv der Akademie der Künste liegt eine bisher unveröffentlichte Filmkomödie: Alles Glück der Welt.

Am 19. Februar 2025 wäre Thomas Brasch, der 2001 in Berlin mit 56 Jahren starb, 80 Jahre alt geworden. Da findet sich in den Tiefen der Archive ein nicht realisiertes Filmdrehbuch. Es ist, als hätte sich der Lyriker, Dramatiker, Übersetzer, der Filmautor und -regisseur, der aus »Geschichte gemacht« sei, so Brasch über Brasch, selbst ein Geburtstagsgeschenk gemacht. Es darf eine verrückte musikalische Komödie entdeckt werden, die sein künstlerisches Schaffen um eine neue Facette ergänzt hätte: Alles Glück der Welt ist eine scharfe Satire über eine deutsch-deutsche Gesellschaft zwischen zwei Kriegen, souverän in den Dialogen, mit prallen, komödientauglichen Figuren, die zeigen, dass Brasch, der Meister der Form, selbstverständlich auch das Genre der (Film)Komödie zu bedienen wusste. Mit seinen Liedern – eine Entdeckung für sich – formstreng gebaut, pointiert, aus dem Geiste des Punk und geprägt von Braschs Theaterübersetzungen, knüpfte der Dichter lässig an das Musiktheater der 1920er-Jahre an. Alles Glück der Welt hätte die erfolgreiche Tradition der jüdischen deutschen Filmkomödie, die während des Nationalsozialismus abgebrochen war, neu begründen können.

Am 20. September 1982 erschien im Berliner Tagesspiegel eine Annonce, die die Grundidee gab: »Konservative Familie sucht hübsches Mädchen in Beruf oder Studium, welches Sohn, 19 Jahre, 1,83 m groß, Abitur, aus der Homosexuellenszene ziehen soll. Finanzieller Ausgleich wird geboten.« Brasch war nach seiner Übersiedlung aus der DDR nach West-Berlin im Jahr 1976 in Westdeutschland schnell zum Star avanciert: Sein erster Spielfilm, Engel aus Eisen, lief 1981 als einziger deutscher Beitrag bei den Filmfestspielen in Cannes. Mit Produzent Joachim von Vietinghoff diskutierte Thomas Brasch in der Folge vor allem zwei Ideen: die musikalische Filmkomödie Alles Glück der Welt und Der Passagier, der die Filmkomödie überholte und, mit Tony Curtis in der Hauptrolle, 1988 ebenfalls in Cannes gezeigt wurde.

Alles Glück der Welt entstand Mitte der 1980er-Jahre, das Treatment entwickelte Thomas Brasch in Zusammenarbeit mit dem angehenden Drehbuchautor George Stamkoski. Nach einigen Monaten beendete Brasch die Zusammenarbeit, er wollte das Drehbuch alleine fertigstellen, erhielt jedoch dramaturgische Unterstützung durch Martin Walz, der bei Der Passagier Braschs Regieassistent war. Bereits in Engel aus Eisen oder Domino hatte Thomas Brasch Geschichte(n), die Topografie des geteilten Berlins, filmisch verarbeitet. In Alles Glück der Welt setzte er seine poetische Auseinandersetzung mit der Stadt in Science-Fiction-Form fort. Die Handlung spielt im Jahr 1999. Von den 1980er-Jahren aus betrachtet, war das nah genug, um Berlin noch immer als geteilte Stadt zu denken, und fern genug, um der Stadt merkwürdig verzerrte, aber doch deutlich von ihrer Vergangenheit geprägte Züge zu verleihen. Die Zeichen stehen auf Krieg, auch in diesem zwischen Zweitem Weltkrieg und neuen Kriegen aufgespannten Film. Für die Generation von Thomas Brasch war dieses Lebensgefühl konstitutiv.

Thomas Brasch hat sein Leben als jüdischer Schriftsteller in und zwischen den beiden deutschen Staaten nie konkret aufgeschrieben, nicht die traumatischen Erfahrungen als Sohn eines Funktionärs der ersten Stunde in der DDR, als Soldatenschüler in der Kadettenanstalt der NVA. In Alles Glück der Welt gibt es ein literarisches Nachglühen der Kadettenjahre im Gewand der Komödie: Sohn Robert flieht nach elf Jahren in einem US-Militärinternat zurück in die Heimat. Und die sieht inzwischen merkwürdig fremd aus: Berlin liegt jetzt am Meer. Totenrituale prägen das öffentliche Leben, die Menschen tragen Handschuhe und meiden körperliche Nähe, die Atmosphäre ist sexuell aufgeladen. Dabei wird reichlich gekokst. Der Vater ist ein hohes Tier in der Waffenindustrie. Pate stand der Industrielle Friedrich Flick, in Braschs Materialsammlung in der Akademie der Künste liegen Spiegel-Artikel zu Flicks Karriere, dem Waffenlieferanten und Sympathisanten des NS-Regimes, der in der BRD ungebrochen erfolgreich sein konnte. Vater Küssler ist not amused angesichts der Rückkehr des Sohnes, der Vater-Sohn-Konflikt liefert der Komödie ordentlich Zunder: Die angebliche Homosexualität des Sohnes taugt dem Vater wenig für eine avisierte Karriere im Familienunternehmen und bei den vom Staat (Bundesmittel!) finanzierten Gasgeschäften mit »den Arabern«. Dass Roberts bester Freund ein Affe im Berliner Zoo ist, macht die Sache nicht besser.

Der entscheidende Hinweis kommt von Sudolf. Der Freund der Familie, Theaterregisseur und -intendant, schlägt vor, auf der Suche nach einer Partnerin für den Sohn eine Anzeige aufzusetzen. Da treten Sofie und Sibylle auf den Plan. Die clevere Sibylle (natürlich Katharina Thalbach) hat die Idee, ihre Freundin solle sich als »arme Ostdeutsche« ausgeben. Dass Sofie keine Ahnung hat vom Osten, erscheint Sibylle halb so wild: »Du mußt mal n bißchen Schallplatten hören, da gibt’s doch alle möglichen Sängerinnen, alles, was so hier rübergekommen ist, und so etwas rumjammert, dass sie nicht wissen, wie sie zurechtkommen sollen, dann koofste Dir n paar Bücher, hörst n bißchen DDR-Radio und dann haste das schon druff, dieses ›Ich bin ja so naiv, was soll ich denn bloß machen! ‹ « In der Szene »Osten in Kreuzberg« inszenieren die beiden ein Stück DDR, voller Klischees und Straßensperren, die Szene wechselt von bunt auf schwarz-weiß, bei Sibylle zu Hause hängt ein Plakat von Brasch. Das alles ist saukomisch. Thomas Brasch hat seine Filmideen immer mit Freunden diskutiert. Es muss einen Heidenspaß gemacht haben, diese Szene zu entwickeln, in den 1980ern in West-Berlin, lange vor Good Bye, Lenin!.

In Braschs handschriftlichen »Vorarbeiten« heißt es: »Die Komödie um eine ›Liebesgeschichte unter schlimmsten Voraussetzungen‹ (sexuelle, ökonomische, politische) ist ein Gegenstück zu ›Romeo und Julia‹, deren Protagonisten am Ende des Feudalzeitalters wenigstens noch die Naivität gegen sich haben.« Und: »Die Angst vor der Liebe ist die Angst vor ihrer Unbrauchbarkeit, die Angst des Pelzherstellers vor dem ewigen Sommer.« Diese Liebesgeschichte endet glücklich, nur anders als gedacht. Komödie heißt bei Brasch die Verbindung von Irrwitz mit dem Dunklen, dem Abgründigen und historisch Anspielungsreichen, NS-Vergangenheit und Holocaust spielen mit. In einem Westberliner Café am Ku`damm sitzen ein alter Nazi und ein junger Jude gemeinsam am Tisch. »Ach, das ist ein alter Nazi«, so die Bedienung auf Nachfrage von Mutter Küssner, »der die Bibel abschreibt, um seine Sünden zu büßen. Der sitzt schon seit Kriegsende rum und der Jude daneben auch. Wenn Sie mich fragen, ich glaub, der hat sie nicht alle. Stellen Sie sich mal vor, das würde hier jeder Nazi machen.« Diese bisweilen irrwitzige, wilde Komödie ist in vielerlei Hinsicht anschlussfähig. In seinen Filmen hat Thomas Brasch immer auch Form und Inhalt des Theaters mitverhandelt und erzählt. In diesem Drehbuch inszeniert er ein Stück im Stück, wechselt zwischen Traum und Wirklichkeit und greift auf eine ureigene Theaterform zurück, die musikalische Komödie, das Singspiel. Alles Glück der Welt ist eine starke Vorlage für großes Kino und für großes Theater.
 

Thomas Brasch, Dichter, Dramatiker, Filmschaffender und Übersetzer, eine der markantesten Figuren der neuen deutschen Literatur, wurde 1945 in Westow/Yorkshire (England) als Sohn jüdischer Emigranten geboren. Bis zu dem Jahr, in dem er die DDR verließ (1976), lebte er in Ostberlin. 1977 erschien sein bekanntestes Buch, der Erzählband Vor den Vätern sterben die Söhne. 2001 ist er in Berlin gestorben.
Thomas Brasch, Dichter, Dramatiker, Filmschaffender und Übersetzer, eine der markantesten Figuren der neuen deutschen Literatur, wurde 1945 in...
Autorenfoto zu Thomas Brasch

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5 Damen/5 Herren
Nach 11 Jahren in einem US-Militärinternat kehrt Robert zurück in seine Heimat Berlin. Die Stadt sieht merkwürdig fremd aus in dieser Science-Fiction: Berlin liegt jetzt am Meer. Totenrituale prägen...

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Termine, Veranstaltungen und Ankündigungen zu Thomas Brasch

Im Februar 2025 wäre Thomas Brasch 80 Jahre alt geworden. In nächster Zeit finden eine Reihe von Veranstaltungen zum Leben und Werk des Autors statt. 
Eine Auswahl finden Sie hier.
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