NEWSLETTER: #5 Anne Jelena Schulte

07.05.2018

Die Stücke von Anne Jelena Schulte entstehen erst im zweiten Schritt am Schreibtisch. Zunächst ist sie in der Welt unterwegs, um zu recherchieren und Gespräche zu führen. Das dokumentarisch generierte Material ist dann der Ausgangspunkt für die Fiktionalisierung und Erfindung ihrer Figuren.

Im Mai haben gleich zwei Stückaufträge der Autorin Premiere. In Bremerhaven inszeniert der Intendant Ulrich Mokrusch das Schifffahrtsstück Sterne schiessen sehr musikalisch für die große Bühne (UA: 12. Mai), in Bielefeld ist in der Regie des Schauspieldirektors Christian Schlüter Weisses Gold zu sehen, ein Abend über Baumwollanbau und Ausbeutung in Argentinien (UA: 25. Mai).


Sterne schießen


ASSI Da steht einer mit ner Knarre.
TISCHLER Das ist n Checkpoint.
TAXIFAHRER Son alemanes.
TISCHLER Und schon sind wir durch.
ASSI Ich versteh immer nur alemán.
TISCHLER Alemán kommt gut hier, die können das nicht auseinanderhalten mit Osten und Westen, die kommen nicht mit mit der deutschen Geschichte, die halten uns für Brüder. Alemán, alemán, und wir trinken Cuba Libre, und der Nautische weiß davon nichts, und das ist unsere Revolution.

Dreißig Jahre nach der Stadtgründung Bremerhavens liefen 1857 die ersten Schiffe des Norddeutschen Lloyd von hier nach New York, Baltimore und New Orleans aus. Wenig später expandierte er zur zweitgrößten Reederei der Welt. Heute ist Bremerhaven die ärmste Stadt Deutschlands, die Reederei abgewickelt und mit ihr ein wichtiger Teil des Selbstverständnisses einer Stadt und ihrer Bewohner. Anne Jelena Schulte hat in Bremerhaven Gespräche geführt mit ehemaligen Seeleuten und ist selbst auf einem Frachtschiff mitgefahren. In ihrem Stück für das Stadttheater Bremerhaven stellt sie Aufstieg und Fall der Reederei unter globalisierten Bedingungen ins Zentrum. Und erzählt von einer schwimmenden Welt in der Welt.


Weißes Gold


DAS RADIO: Liebe Chaqueños, liebe Bewohner der Nachbarprovinzen, kommt und kostet von den traditionellen Speisen aus den unterschiedlichsten europäischen Ländern, kommt und kostet von der Immigrantentorte, die dieses Jahr über 400 Kilo schwer ist und mit über 20 Geschmacksrichtungen betört, liebe Chaqueños, liebe Bewohner der Nachbarprovinzen, kommt zu dem Fest, an dem wir die alten Traditionen aufleben lassen, die Traditionen der Auswanderer, denen wir alles zu verdanken haben.

Hunderttausende Kriegs- und Armutsflüchtlinge aus ganz Europa ließen sich locken vom Ruf des »Weißen Goldes«, wie man die Baumwolle in Argentinien nannte. In der Hoffnung auf ein besseres Leben setzten sie über, um fortan unter der subtropischen Sonne der Provinz Chaco Baumwolle zu kultivieren. Anne Jelena Schulte hat die Region besucht, Geschichten von Erntehelferinnen, Kleinbauern, Agraringenieuren und dem »König der Baumwolle« gesammelt und den Baumwollanbau im Zeichen der modernen, globalisierten Agrarindustrie dokumentiert. So hart das Leben für viele Menschen dort noch immer ist: Der Traum vom weißen Gold, das nicht nur Wohlstand, sondern auch Frieden, Geborgenheit und Sinn verspricht, ist noch immer lebendig.

Ein ausführliches Interview der Lektorin Ruth Feindel mit Anne Jelena Schulte finden Sie hier: Ich glaube nicht an einen objektiven Realismus, aber an einen subjektiven

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Anne Jelena Schulte wurde in Berlin geboren, wo sie an der Universität der Künste Szenisches Schreiben studiert hat. Sie lebt in Berlin und Tel Aviv. Ihre Stücke hat sie u.a. für das Deutsche Theater Berlin, das Maxim Gorki Theater Berlin, das Schauspiel Leipzig, das Theater Bielefeld und das Theaterhaus Jena geschrieben.
Parallel arbeitet sie in freien Gruppen wie CapriConnection und Armada of Arts. Meistens entstehen ihre literarischen Theatertexte auf der Grundlage von Recherchen und Gesprächen zu spezifischen Themen.
Anne Jelena Schulte wurde in Berlin geboren, wo sie an der Universität der Künste Szenisches Schreiben studiert hat. Sie lebt in Berlin und...
Autorenfoto zu Anne Jelena Schulte

Stücke


Hunderttausende Kriegs- und Armutsflüchtlinge aus ganz Europa ließen sich locken vom Ruf des »Weißen Goldes«, wie man die Baumwolle in Argentinien nannte. In der Hoffnung auf ein besseres Leben...

»Beim Lloyd, wenn wir zum Heuerbüro gegangen sind, konnte man sich halbwegs noch das Schiff aussuchen: – Wo willst du denn hin? Demnächst kommt die Schwabenstein, willst du da rauf? – Wo geht die...