Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen. Hier ist die Ich-Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis nicht nur der Hausrat, sondern auch die verdrängten Erinnerungen hervorquollen. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, bis sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst – zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden.
In ihrem Debütroman erkundet Deniz Ohde die feinen Unterschiede in unserer Gesellschaft, die Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit. Streulicht stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2020.
UA: Maxim Gorki Theater, 20.8.2021
Regie: Nurkan Erpulat