Textminiaturen, entstanden während des Lockdowns 2020

40 GRAD IM SCHATTEN [ABER KEIN SCHATTEN HIER] von Sivan Ben Yishai

Originaltitel: 40 DEGREES IN THE SHADOW [BUT NO SHADOW HERE]
Aus dem Englischen von Maren Kames

Besetzung variabel


Jom Kippur ist das höchste Fest des Judentums. Einen Tag lang steht das gesamte Leben still. Kein Fahrzeug wird gestartet, kein Laden geöffnet. Alle ergehen sich in kollektiver Buße, Gebet und Fasten. Mit dem Untergang der Sonne ist klar: Gott hat den Gläubigen ihre Sünden vergeben. Dann endet das Fasten und das Leben ersteht rein, unschuldig und neu, für ein weiteres Jahr. Doch was, wenn die Sonne nicht mehr untergeht? Die Gebete immer verzweifelter werden, schließlich immer fordernder? Wenn die Hitze einfach nicht zurückgeht?
Der Text wurde zunächst als Hörspiel des WDR ausgestrahlt und später als Auftragswerk für die Produktion »Die neuen Todsünden« – eine Betrachtung von Gandhis Todsünden der modernen Gesellschaft aus heutiger Perspektive am Theater Karlsruhe uraufgeführt.

Skin City von Sivan Ben Yishai

Originaltitel: Skin City
Aus dem Englischen von Maren Kames

3 Darsteller:innen


Zurückgezogen in den eigenen vier Wänden endlich Zeit finden für Frühstücksroutinen, Yoga und Balkonverschönerungen – Quarantäne als Quality-Time. Doch was, wenn beim Blick vom Balkon Realitäten ins Blickfeld geraten, die dafür sorgen, dass man sich plötzlich unwohl fühlt in den eigenen vier Wänden, in der eigenen Haut? Sivan Ben Yishai beschreibt eine Krisen-Momentaufnahme: Gefangen nicht nur im eigenen Haushalt, sondern in der eigenen Haut, die sich wie eine Membran weißer Privilegien, um einen legt und nur einseitig beginnt durchlässig zu werden.
Diese dramatische Miniatur entstand während des Lockdowns im Frühjahr 2020 als Auftrag für die »Bochumer Shortcuts«, ein Autor:innen Filmprojekt des Schauspielhaus Bochum.

Unsere Stadt aus Vogelaugen/ Eine Blutung im Dunkeln von Sivan Ben Yishai

Originaltitel: Our city from bird’s eye / A hemorrhage in the dark. A commemoration of one present moment Gedenkfeier des gegenwärtigen Moments Auftragswerk Theater Dortmund
Aus dem Englischen von Maren Kames


Besetzung variabel

»Sie haben die Synagoge weder gesprengt noch verbrannt. Sie sind auf sie geklettert, wie auf einen riesigen, ohnmächtigen Körper.«
Zwei gewaltvolle Vorgänge, die sich auf unterschiedlichen zeitgeschichtlichen Ebenen ereignen, werden in diesem Text ineinander geblendet, ineinander festgeschrieben, körperlich spürbar verzahnt: der Abbau der Dortmunder Synagoge, der ab dem 3. Oktober 1938 begann, wenige Wochen vor der Reichskristallnacht. Und der Angriff auf einen wehrlosen Körper, der in einer heutigen Straße einer heutigen Stadt unterwegs ist, dem Hass ausgeliefert. Es geht in dieser Szenerie auch um den gegenwärtigen Moment des WIRS, das zusammentritt am Ort des Geschehens, zur Gedenkfeier, in der Theatersituation.
Als ein Weg durch die Stadt Dortmund entstand dieser Text als Auftragswerk für den Stadtspaziergang »2170 – Was wird die Stadt gewesen sein, in der wir wohnen werden?« am Theater Dortmund.

there goes my systemrelevanz (again) ((and again)) (((and again))) von Thomas Köck

Textminiatur für das Burgtheater Wien

Besetzung variabel


Ein anklagender Chor der Irrelevanten betrachtet bissig und lakonisch die Rädchen unseres Systems und wie sie geölt werden, um den Kollaps der kapitalistischen Ordnung zu verhindern. Wenn Systemrelevanz aber bedeutet, relevant für ein System zu sein, das Ungerechtigkeiten produziert, dann pfeift dieser Chor auf jede Relevanz.
Thomas Köcks kleine Shutdown-Chaconne entstand für die Reihe »Wiener Stimmung« – Österreichische Autor:innen schreiben für das Burgtheater-Ensemble in Isolation.

zytokinsturm von Thomas Köck

Textminiatur für das Schauspielhaus Bochum

Besetzung variabel


In Zeiten der Pandemie mobilisiert der kollabierende Körper des Kapitalismus seine letzte Abwehr. Konjunkturspritzen zur weltweiten Heilung eines infizierten Systems sind gefragt. Rentabilität ist der Marker für die Systemrelevanz. Dieser Zytokinsturm wirft Leben in die Waagschale und unterscheidet zwischen Fremd- und Antikörpern: »ein zytokinsturm ist eine explosion der körpereigenen immunabwehr die die eigenen organe attackiert.
Thomas Köcks hoch verdichteter Wortsturm über die Doppelmoral politischer Entscheidungen zur Rettung eines versagenden ökonomischen Systems entstand als Shutdown-Miniatur für die »Bochumer Shortcuts«, ein Autor:innen Filmprojekt des Schauspielhaus Bochum.

Die Beamten von Miroslava Svolikova

Textminiatur für das Schauspielhaus Bochum

2 Darsteller:innen

Alles muss immer funktionieren. Um die bürokratische Organisation unserer Leben wird sich gekümmert. Damit man nicht sofort tot umfällt, sobald man das Haus verlässt. Doch was, wenn die Erkenntniskette abbricht, die das Außen einschätzbar macht? »Dann wird man verrückt.« Doch auch dann wird ein bürokratisches Auffangnetz geknüpft, das uns Verwaltete auffängt, uns am staatlich geprüften Rückholband aufrichtet – weil da welche sind, die die Strippen ziehen.
Diese dramatische Miniatur entstand während des Lockdowns im Frühjahr 2020 als Auftrag für die »Bochumer Shortcuts«, ein Autor:innen Filmprojekt des Schauspielhaus Bochum.

die seuche kenne ich gut von Miroslava Svolikova

Textminiatur für das Burghteater

1 Darsteller:in, Besetzung variabel

Das Virus klettert die Hauswände hinauf, es tropft aus den Pupillen, die Menschen ziehen es wie Fahnen hinter sich her: Ein Monolog und eine Beobachtung des Außen, während sich im Inneren der Wohnung das eigene Spiegelbild verschattet und sich die Gedanken zur Flucht aus der Bedrohung selbst umkreisen.
Miroslava Svolikova schrieb diesen Kurzmonolog für die Reihe »Wiener Stimmung« – Österreichische Autor:innen schreiben für das Burgtheater-Ensemble in Isolation.

Die Abwesenheit des Propheten von Akın Emanuel Şipal

Textminiatur für das Schauspielhaus Bochum

Mind. 2 Darteller:innen

 »MUTTER
Wir müssen unsere Ideen nicht ändern, weil sich die Landschaft ändert um uns herum.

Aber die Ideen der Städter sind fest wie Steine, weil Ideen immer Spiegel der Zelte sind, in denen Menschen leben. Und deswegen müssen sie ständig ihre Ideen zerbrechen und neu zusammensetzen. Sie müssen sich selbst verändern, weil die Natur um sie herum sich nicht verändert oder kaum. Weil sie sonst sterben würden. Weil ihre Natur die Stadt ist, die aus Steinzelten besteht.«

In Auseinandersetzung mit islamischer Mystik, schreibt Akın Emanuel Şipal darüber, dass Leben Veränderung ist. Eine und lässt eine Beduinenmutter nimmt, gemäß dem Brauch und zur ökonomischen Absicherung, ein fremdes, wohlhabendes Kind aus der starren Betonwüste der Stadt bei sich auf, damit es die Weisheiten der Wüste in sich aufnimmt.
Diese dramatische Miniatur entstand während des Lockdowns im Frühjahr 2020 als Auftrag für die »Bochumer Shortcuts«, ein Autor:innen Filmprojekt des Schauspielhaus Bochum.

Thomas Köck, geboren 1986 in Steyr, Oberösterreich. Er wurde durch Musik sozialisiert und studierte Philosophie in Wien sowie Szenisches Schreiben und Film an der Universität der Künste Berlin. Er arbeitete beim theatercombinat wien, war mit einem Dokumentarfilmprojekt über Beirut zu Berlinale Talents eingeladen, war Hausautor am Nationaltheater Mannheim, bloggt mit KollegInnen auf nazisundgoldmund.net gegen rechts und entwickelt mit Andreas Spechtl unter dem Label ghostdance konzertante readymades. Für seine Theatertexte wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. 2018 mit dem Literaturpreis »Text & Sprache« des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft...
Thomas Köck, geboren 1986 in Steyr, Oberösterreich. Er wurde durch Musik sozialisiert und studierte Philosophie in Wien sowie Szenisches...
Autorenfoto zu Thomas Köck
Sivan Ben Yishai, geboren 1978, lebt seit 2012 in Berlin. Ihre Stücke werden viel gespielt. Mit dem Stück LIEBE/ Eine argumentative Übung, das im Rahmen ihrer Hausautor:innenschaft am Nationaltheater Mannheim entstand, wurde sie zum Mülheimer Dramatikpreis 2020 eingeladen. Für WOUNDS ARE FOREVER (Selbstportrait als Nationaldichterin), das sich mit der palästinensisch-israelisch-deutschen Geschichte beschäftigt, erhielt sie den Mülheimer Dramatikpreis 2022.
Mit ihrem Stück Like Lovers Do (Memoiren der Medusa) in einer Inszenierung der Münchner Kammerspiele (Regie: Pınar Karabulut) war sie bereits 2022 zum...
Sivan Ben Yishai, geboren 1978, lebt seit 2012 in Berlin. Ihre Stücke werden viel gespielt. Mit dem Stück LIEBE/ Eine argumentative...
Autorenfoto zu Sivan Ben Yishai
Akın Emanuel Şipal, 1991 in Essen geboren, studierte Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Für sein erstes Theaterstück Vor Wien gewann er den bundesweiten Wettbewerb »In Zukunft« 2012, für Santa Monica erhielt er den Förderpreis Literatur der Kulturbehörde Hamburg. Şipal ist als Drehbuchautor an diversen Kurz- und Langfilmen beteiligt, die auf Festivals wie Festival des Films du Monde de Montréal (Prix du Jury für The Bicycle), Shanghai International Film Festival oder Cairo International Film Festival zu sehen sind. In der Spielzeit 2016/17 war Şipal Hausautor am Nationaltheater Mannheim. Von...
Akın Emanuel Şipal, 1991 in Essen geboren, studierte Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Für sein erstes...
Autorenfoto zu Akın Emanuel Şipal
(Kiki) Miru Miroslava Svolikova kam während ihres Kunststudiums über Ausschreibungen zum Theater und verfasste seither mehrere absurde Theaterstücke und eine zeitgenössisch-lyrische König Lear Neuübersetzung für das Schauspielhaus Bochum (Nachspiele u.a. am Thalia Theater Hamburg, Staatsschauspiel Dresden, Luzerner Theater). Ihr Stück RAND ist 2022 bei Suhrkamp Theater erschienen und erhielt den Nestroy Autorenpreis. europa flieht nach europa eröffnete 2018 die Autorentheatertage des DT Berlin, feierte Premiere am Burgtheater Kasino und wurde 2023/24 in erweiterter Fassung am Volkstheater München erneut zur Premiere gebracht. Svolikovas Monolog...
(Kiki) Miru Miroslava Svolikova kam während ihres Kunststudiums über Ausschreibungen zum Theater und verfasste seither mehrere absurde Theaterstücke...
Autorenfoto zu Kiki Miru Miroslava Svolikova

Stücke


Jom Kippur ist das höchste Fest des Judentums. Einen Tag lang steht das gesamte Leben still. Kein Fahrzeug wird gestartet, kein Laden geöffnet. Alle ergehen sich in kollektiver Buße, Gebet und...

»Sie haben die Synagoge weder gesprengt noch verbrannt.
Sie sind auf sie geklettert, wie auf einen riesigen, ohnmächtigen Körper.«

Zwei gewaltvolle Vorgänge, die sich auf unterschiedlichen...

Zurückgezogen in den eigenen vier Wänden endlich Zeit finden für Frühstücksroutinen, Yoga und Balkonverschönerungen – Quarantäne als Quality-Time. Doch was, wenn beim Blick vom Balkon Realitäten ins...

Ein anklagender Chor der Irrelevanten betrachtet bissig und lakonisch die Rädchen unseres Systems und wie sie geölt werden, um den Kollaps der kapitalistischen Ordnung zu verhindern. Wenn...

In Zeiten der Pandemie mobilisiert der kollabierende Körper des Kapitalismus seine letzte Abwehr. Konjunkturspritzen zur weltweiten Heilung eines infizierten Systems sind gefragt. Rentabilität ist...

Alles muss immer funktionieren. Um die bürokratische Organisation unserer Leben wird sich gekümmert. Damit man nicht sofort tot umfällt, sobald man das Haus verlässt. Doch was, wenn die...

Das Virus klettert die Hauswände hinauf, es tropft aus den Pupillen, die Menschen ziehen es wie Fahnen hinter sich her: Ein Monolog und eine Beobachtung des Außen, während sich im Inneren der Wohnung...

»MUTTER
Wir müssen unsere Ideen nicht ändern, weil sich die Landschaft ändert um uns herum.

Aber die Ideen der Städter sind fest wie Steine, weil Ideen immer...

Termine


24.09.2020
Donnerstag
Uraufführung

deutsch von Maren Kames
Regie: Julia Wissert

Theater Dortmund


24.09.2020
Donnerstag
Uraufführung

Regie: Julia Wissert 

Theater Dortmund


ENTDECKEN

Nachricht
19.06.2020

Zuhause ins Theater!

Aktuelle digitale Formate: Das Theater Bremen präsentiert die vierteilige Miniserie »Die Marquise von O.nline« zu DIE MARQUISE VON O.… — FASTER PUSSYCAT!...
Nachricht
19.06.2020

Zuhause ins Theater!

Aktuelle digitale Formate: Das Theater Bremen präsentiert die vierteilige Miniserie »Die Marquise von O.nline« zu DIE MARQUISE VON O.… — FASTER PUSSYCAT!...