In unserer Lesereihe ZUHÖREN präsentieren wir fortlaufend eine Autorin oder einen Autor, die für uns aus einem ihrer Stücke lesen.
Am 17. Januar 2024 wäre Einar Schleefs 80. Geburtstag gewesen: ein Anlass für die Schauspieler:innen Jutta Hoffmann, Thomas Thieme, Bibiana Beglau und Wolfram Koch für diese ZUHÖREN-Geburtstagsedition, aus seinen Texten zu lesen.
»Es hat nur zwei Genies in Deutschland nach dem Krieg gegeben, im Westen Fassbinder, im Osten Schleef«, schrieb Elfriede Jelinek kurz nach dessen Tod am 21. Juli 2001 über den Theaterregisseur, den Erzähler und Dramatiker, Bühnen- und Kostümbildner, den bildenden Künstler Einar Schleef. Den Chor entdeckte er für das zeitgenössische Theater wieder und prägt damit bis heute jüngere Generationen von Theaterschaffenden. Wer heute seine Theatertexte (wieder) oder neu liest, begegnet einer eindringlich rhythmischen, plastischen Sprache, ob in seinen Überschreibungen von Hauptmann, Gorki, Strindberg oder Oscar Wilde, in den »Heimat«-Texten in einer mit dem thüringischen Dialekt spielenden Kunstsprache wie den Mutter-Roman Gertrud oder der Stücktetralogie Totentrompeten. Den bildenden Künstler Schleef oder auch sein filmisches Schaffen dürfen in all ihren Facetten noch entdeckt werden (s. dazu auch Vor dem Palast. Gespräche über Einar Schleef, Hrsg. von Corinne Orlowski, Suhrkamp 2019).
Anlässlich des Erscheinens von Schleefs Großessay Droge Faust Parsifal schrieb Rainald Goetz am 9. Juni 1997 in der Süddeutschen Zeitung: »Daß in Droge Faust Parsifal ein völlig neuer Schleef auftritt, eine völlig neue Sprache, eine einzigartige, noch nicht dagewesene und zugleich in sich auf Anhieb plausible Form, theoretisch-praktisch über Literatur, Theater, Texte, Musik, und Existenz reflektieren und zu reden – seit der Lektüre von Ivan Nagels Autonomie und Gnade kann ich mich an einen solchen Bezauberungs-Effekt durch Kunst-Analyse nicht mehr erinnern.«
Einar Schleef verbanden mit einigen Schauspieler:innen langjährige Arbeitsbeziehungen, seine Inszenierungen sind heute legendär: Jutta Hoffmann war 1975 bereits in Schleefs und B. K. Tragelehns Inszenierung von Fräulein Julie, die in der DDR ein kulturpolitisches Erdbeben auslöste, Hauptdarstellerin am Berliner Ensemble. Sie liest aus einem Brief der Mutter Gertrud an den Sohn vom 8. Februar 1965 (aus: Gertrud Schleef / Einar Schleef. Briefwechsel 1, 1963-1976. Theater der Zeit, 2009. Die Rechte liegen bei den Schleef Erben.) Thomas Thieme, der 1986 in Schleefs legendärer Frankfurter Inszenierung von Mütter auftrat, liest den Text Entscheidung II aus Droge Faust Parsifal. Bibiana Beglau liest aus Salome, Schleefs freier Bearbeitung des Wilde-Stückes, in dessen Inszenierung 1997 am Düsseldorfer Schauspielerhaus sie Herodias spielte. Wolfram Koch, der in Jakob Fedlers Inszenierung Ich bin’s, deine Mutter Schleef (Mutter und Sohn) auf die Bühne brachte, liest aus Tod des Lehrers aus dem Erzählband Die Bande.