Die diesjährigen Autorentheatertage waren Autorinnentheatertage. Die Israelin Sivan Ben Yishai war mit ihrem ersten Theatertext YOUR VERY OWN DOUBLE CRISIS CLUB. Ein Klagelied mit furchtbarem Akzent, ins Deutsche übersetzt von Henning Bochert, eine der drei ausgewählten Autorinnen. Das Stück hatte am finalen Wochenende der Autorentheatertage in der langen Nacht am 23. Juni seine Uraufführung.
In den beiden vorausgegangenen Festival-Wochen waren die AutorInnen des Suhrkamp Verlags mit 5 von 11 Gastspielen und der Verleihung des Hermann-Sudermann-Preises an Miroslava Svolikova sehr präsent.
EINE URAUFFÜHRUNG: Sivan Ben Yishai YOUR VERY OWN DOUBLE CRISIS CLUB
Zwei Krisen treffen aufeinander: Ein WIR mit Fluchtgeschichte und das eingesessene IHR einer demokratischen Gesellschaft. Das chorische WIR stimmt ein lautes, schmerzhaftes Klagelied an über den Tod seiner zugrunde gerichteten Stadt. Die Autorin sucht in dieser Konstellation die direkte Begegnung mit ihrem Publikum. Im Interview mit DT-Dramaturg Claus Caesar über ihr Stück erklärt Sivan Ben Yishai: »Natürlich hat der Text viel mit meiner Vergangenheit, mit meinen Erfahrungen zu tun, aber wir alle haben eine Art kollektives Unterbewusstsein, gefüttert mit Bildern aus den Medien, aus dem Internet. Manches davon sind Informationen, anderes, wie ich im Stück sagen lasse, ist ›Kriegsporno‹ und ich spiele damit, mit diesem Zwischenraum von Surrealismus und Erinnerung, zwischen den unfassbaren und echten Wunden.«
Gabi Hift schreibt auf nachtkritik (23.6.2017) Sivan Ben Yishais Stück »ist beim Lesen das Stärkste der drei Stücke, ein Lamento von enormer sprachlicher Wucht und Schönheit, mit einem zwingenden Rhythmus, der einen hineinzieht in die unerträgliche Lage der Geflüchteten.« Patrick Wildermann schreibt über DOUBLE CRISIS im Tagesspiegel (26.6.2017) »Sivan Ben Yishai besitzt Sprache, kein Zweifel. Sie schreibt eine knappe, ausgestanzte Prosa, die Henning Bochert kristallscharf übersetzt hat und die immer wieder sarkastisch funkelt.«
YOUR VERY OWN DOUBLE CRISIS CLUB ist in der Regie von András Dömötör auch weiterhin im Spielplan des Deutschen Theater zu sehen.
EIN PREIS: Hermann-Sudermann-Preis für Miroslava Svolikova
Miroslava Svolikova hatte einen eigenen kleinen Schwerpunkt bei den ATT: Sie war mit gleich zwei Inszenierungen eingeladen, die hockenden (Burgtheater Wien, Regie: Alia Luque) und Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt. (Schauspielhaus Wien, Regie: Franz-Xaver Mayr) und wurde mit dem Hermann-Sudermann-Preis ausgezeichnet.
Ihre Lektorin Nina Peters hielt die Laudatio, in der es heißt: » … Die Stärke der Theatertexte ergibt sich durch den Abstand zur Welt, von der sie erzählen und der RegisseurInnen Spielraum lässt. In beiden Stücken taugen die typisierten Figuren als StellvertreterInnen einer realen Welt. Aber sie lassen sich vom Realismus nicht ›überwältigen‹… In die hockenden dient der dumpfe Ausgrenzungsmechanismus, der in Gewalt umschlägt, als gewaltiger Resonanzraum für diese Parabel menschlichen Lebens. Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt. ist eine Farce: Die Europäische Union ist längst Vergangenheit und nunmehr im Museum zu bestaunen, und drei junge Menschen, Museumsbesucher und gefangen in einem scheinbar ewigen Wettbewerb, suchen ihren Platz auf dem Arbeitsmarkt … Die Autorin stanzt ihre geschliffenen, prägnanten Sätze gleichsam in den Raum. … In einem musikalischen Verfahren wiederholt, variiert sie Worte und Sätze, verdichtet diese zu absurden und eindringlichen Bildern und erzeugt einen leichten, eigenwilligen Erzählsound.«
FÜNF GASTSPIELE: Köck – Klare – Schalansky – Seiler – Svolikova
Eröffnet wurde das Festival u. a. mit Thomas Köcks preisgekröntem Stück paradies fluten (verirrte sinfonie) das in der Regie von Marie Bues (Rampe Stuttgart) eine kongeniale Regie fand. Nora Voit schreibt in der TAZ (16.6.2017): »Die Performance baut Köcks Text-Sinfonie zu einem Gesamtkunstwerk aus.« Der Abend »ist witzig und klug, untermalt mit liebevoll gemachter Lifemusik, kurzweilig, toll.«
In ihrem Beitrag über die Auswahl des diesjährigen Gastspielprogramms benennt die DT Dramaturgin Christa Müller die Wende in Deutschland als einen der inhaltlichen Themenschwerpunkte. Dazu zählen Lutz Seilers Kruso in der Bühnenbearbeitung und Regie von Armin Petras (Schauspiel Leipzig) sowie der Doppelabend Melken / Der Hals der Giraffe (Nationaltheater Weimar, Regie: Hasko Weber).
Für Peter Laudenbach (TIP BERLIN) ist Kruso die dringlichste Empfehlung. Auch Ulrich Seidler (Frankfurter Rundschau, 23.6.2017) konnte dem auf die »Wunder der Verwandlung« angelegten Theater, das sonst »bei den Autorentheatertagen mit so viel Scheu und Anstrengung vermieden« wird, viel abgewinnen: »Man sieht den formalen Trick, und geht dennoch in die Empathie-Falle. Das Theater macht einfach was es will. Und schreibt sich an jedem Abend seine Gesetze neu.«